Zu Besuch in Livadia

Bereits zwei Jahre vorher war ich zusammen mit Gringo, einem Freund in Griechenland unterwegs. Wir sind mit dem Linienbus von Stuttgart durch das damalige Jugoslawien in einer 36 Stunden dauernden Fahrt Richtung Athen gefahren. In Thessloniki mussten wir nochmal umsteigen und konnten uns ein wenig die Beine vertreten, am nächsten Morgen sollten wir in Athen ankommen. Allerdings hatten wir mitten in der Nacht keine Lust mehr und haben den Busfahrer gebeten, uns irgendwo an der Straße raus zu lassen. Um halb eins standen wir also am Rande einer Landstraße. Die Nacht war lau aber bewölkt, wir zogen los und suchten uns im Abseits eine Wiese, legten die Schlafsäcke aus und schliefen rasch ein. Morgens hatten wir einen wunderbaren Blick auf das Meer im Osten und den schneebedeckten Olymp im Westen.

Drei Wochen hatten wir nun Zeit, mit dem Rucksack durch Griechenland zu wandern. Es war Februar, ein Zelt hatten wir nicht dabei. Sollte es regnen, dann würden wir schon Alternativen für die Übernachtungen finden. Wir entdeckten unter anderem die Klöster von Meteora, die wilden Strände von Lefkas, den Golf von Korinth und zum Schluß auch noch Athen. Aber das sind andere Geschichten, die ich mal an einem anderen Lagerfeuer erzählen kann. Die Verbindung zu meiner Reise mit dem Rad nach Israel ergibt sich in Livadia, einem schönen Städtchen auf meinem Weg nach Athen.

Dort waren wir vor zwei Jahren ebenfalls gelandet und hatten dort ein wenig Zeit vertrödelt, eingekauft und waren durch die Gassen gestreift, um den Ort Richtung Berge zu verlassen. Und dabei begegneten wir zwei junge Kerle mit Rucksack und Pfadfinderhut einem griechischen Mütterchen, ganz in Schwarz. Sie sprach uns an, wir verstanden nichts. Sie zog uns fast die Rücksäcke runter und deutete uns kurz zu warten, zu bleiben. Plaudernd, auf Griechisch natürlich, brachte sie ein paar Höckerchen und Keckse herbei. Wir sollten uns also setzen. Um also nicht unhöflich zu sein, beteiligten wir uns auf deutsch am Gespräch, kramten unsere Landkarte hervor und erzählten von unserem Weg durch Griechenland. Auf Deutsch natürlich. Und so entwickelte sich das Gespräch mit Händen und Füßen und zwei Sprachen, die der jeweils andere nicht verstand.

Es dauerte nicht lange, es kam eine weitere alte Frau in Schwarz und geselltt sich zu uns, inzwischen wurden mehr Keckse serviert. Und noch eine Frau kam aus dem Haus. Wir plauderten, hatten Spaß und waren mittlerweile bei einem lilafarbenen Likör angekommen. Der Nachmittag entwickelte sich, ab und an versuchen wir einen Anlauf auf English, aber auch dieser Sprache war niemand von den mittlerweile vier Griechinnen unterschiedlichen Alters mächtig.

Bis ihnen einfiel, drinnen im Haus saßen ja noch zwei Töchter. Und die konnten Englisch und mussten ab da übersetzen. Also wiederholten wir die komplette Unterhaltung nochmal mit zwei Dolmetscherinnen (die Töchter) für Mutter, Oma, Haushälterin und Nachbarin. Die Frauen wurden immer ausgelassener und auch wir hatten einen wunderbaren Nachnittag. Als dann die Oma darum bat, einen unserer Pfadfinderhüte aufzusetzen und wir sie unbedingt damit fotographieren sollten, lagen dann alle lachend am Boden.

Evi und ihre Schwester, die beiden jungen Frauen haben uns zuletzt noch ein Stück aus dem Ort begleitet. Wir haben noch Adressen ausgetauscht, um auch ja das Foto mit Hut schicken zu können und sind dann beschwingt unserer Wege gezogen, um noch einen geeigneten Lagerplatz zu finden.

Zuhause habe ich mein Englisch bemüht, einen Brief mit dem versprochenen Foto an die Evi geschrieben und daraus wurde ein nette deutsch-griechische Brieffreundschaft.

Und nun bin ich wieder unweit von Livadia auf der Durchreise nach Athen. Ich hatte in meinem letzten Brief angekündigt, dass ich auf meiner Radtour kurz vorbeischauen würde, aber einen Zeitpunkt konnte ich natürlich nicht nennen. Also radle ich auf gut Glück morgens in die Stadt, mache mich auf den Weg in die steilen Gassen. Selbst mit Schieben komme ich mit dem Fahrrad fast nicht den Berg hoch. Und ich habe etwas zu suchen, in den Gassen und in meiner Erinnerung. Hier war die orthodoxe Kirche, dort müsste ich doch richtig sein. Mit Straßenschildern haben es die Griechen nicht so. Das Smartphone mit Navi war noch nicht erfunden.

Und plötzlich stehe ich vor der Tür. Die Mutter ist da, die Oma, die Haushälterin, die Töchter noch unterwegs. Ich lade mein Gepäck ab, setze mich zu der Mutter, wir plaudern wieder auf deutsch-griechisch. Als Evi hinzukommt, frage ich um eine kurze Übersetzung, was ihre Mutter mir eigentlich erzählt. Sie lacht, just kidding.

Ich werde zum Mittagessen eingeladen, aber vorher muss ich noch kurz auf die Hauptpost. Ich hatte diese angegeben, um mir dorthin postlagernd zu schreiben. Und ich wollte eine Werkstatt suchen, um ein paar Speichen zu besorgen und zu ersetzen. Mein Hinterrad eiert wieder verdächtig. Vor dem Haus von Evi repariere ich mein Rad und lerne dabei den Vater kennen. Mittagessen gibt es reichlich. So satt war ich schon lange nicht mehr. Und sie entschuldigen sich für das karge Mahl, ich sei ja nicht eingeplant gewesen. Oh Gott, was hätte ich essen müssen, hätten sie gewusst, dass ich heute komme. Bei Evis Familie habe ich mich wunderbar wohl gefühlt. Obwohl mich mit ihr doch nur ein kurzer Nachmittag und ein paar Briefe verbindet, ist es nach ein paar Wochen alleine zu Reisen fast wie nach Hause oder zu guten Freunden zu kommen.

Den Nachmittag verbringen Evi und ich im Städtchen, kehren im Café ein, unterhalten uns so gut es geht auf Englisch. Sie lädt mich ein, bis morgen zu bleiben. Den Abend in Livadia zu verbringen und bei ihrer Familie zu übernachten. Entweder traue ich mich nicht, oder das Reisen steckt mir schon so im Blut, dass ich unstet wie ich bin, noch weiterfahren will.

Als ich abends im Zelt, 30 km weiter in Richtung Athen, mein Reisetagebuch schreibe, bedauere ich es, diese Einladung nicht angenommen zu haben. Wir waren jung und viel zu schüchtern, zumindest ich.

Evi und ich werden uns noch ein ganze Weile Briefe schreiben, bis die Brieffreundschaft irgendwann einschläft. Viele Jahre später finden wir uns in den moderen Sozialen Medien wieder und bleiben bis heute in Kontakt miteinander.